Rezension zu »Ein Sommer wie seither kein anderer« von Hauke Goos und Alexander Smoltczyk
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240 Seiten
erschienen bei DVA/Spiegel-Buchverlag
Ich habe zuletzt mal ein ganz anderes Buch gelesen: Weder einen New-Adult-Roman, noch einen Thriller - sondern ein sehr spannendes Sachbuch.
Der 8. Mai 1945 markiert einen tiefen Einschnitt in der
deutschen Geschichte. Ein verbrecherisches Regime war am Ende und mit ihm eine
Weltanschauung. Nach fast sechs Jahren Krieg war in Europa der Frieden eingekehrt.
Wie haben die Menschen den ersten Nachkriegssommer erlebt? Was haben sie
empfunden, gedacht, gehofft? Welche Erwartungen, welche Pläne und welche
Zukunftsvorstellungen hatten sie? Und wie begegneten sich jene, die vor Hitler
fliehen mussten und jene, die ihm zugejubelt haben? Aus Tagebüchern dieser Zeit
sowie Erinnerungen von Zeitzeugen wird in »Ein Sommer wie seither kein anderer«
ein reichhaltiges Bild davon, wie unterschiedlich die Nachkriegszeit erlebt
wurde, gezeichnet.
Bei den Zeitzeugen haben die Herausgeber Hauke Goos und
Alexander Smoltczyk eine schöne und abwechslungsreiche Auswahl aus prominenten
und unbekannten Stimmen getroffen. Die Einzelerzählungen haben sie zu einer
kontrastreichen Chronik für die drei Monate vom 9. Mai bis 9. August 1945
zusammengefügt. Die facettenreichen Eindrücke vom damaligen Alltag der Leute, von
ihren Sorgen und Hoffnungen, sind sehr interessant und bewegend. Für meinen
Geschmack hätten die Zeitzeugenberichte allerdings ausgiebiger sein dürfen. Ehe
man sich in die Lebenssituation einer Person eingelesen hatte, war der Bericht
schon zu Ende und man musste sich wieder auf einen neuen einlassen. Zwar wird
somit die Gleichzeitigkeit der Geschehnisse und Stimmungen gut dargestellt,
doch lässt das Buch wenig Zeit zum Einfühlen und Reflektieren.
Viele Schwarz-Weiß-Fotografien illustrieren die Erzählungen
und vermitteln so ein eindrückliches Bild von Deutschland im Sommer 1945. In
der Mitte des Buches sind außerdem Porträts der Zeitzeugen wie auch Fotokopien
historischer Dokumente enthalten. Man erhält auf diese Weise einen umfassenden Einblick
in die gelebte Vergangenheit.
Trotzdem war die Chronik etwas schwierig zu lesen – nicht nur
aufgrund des schwerwiegenden Inhalts, sondern vor allem wegen des Layouts und
stellenweise auch wegen der Sprache. Durch eine Zweiteilung der Seiten (ein
graues Banner am oberen Rand, das sich vom Rest der Textseite abhebt) mit jeweils
einem Textstrang, der sich über mehrere Seiten erstreckt, wird man als Leser
vor die Entscheidung gestellt, ob man zuerst den Text im grauen Banner oder den
Haupttext liest. So oder so muss man jedoch, wenn man eine Passage fertiggelesen
hat, wieder zurückblättern, um den zweiten Textstrang zu lesen. Das hat mich
etwas überfordert, da ich oft nicht wusste, wo ich zuerst mit dem Lesen beginnen
sollte. Die Sprache der Zeitzeugenberichte ist zudem teilweise veraltet und
deshalb nicht ganz leicht zu lesen – was das Buch dafür aber natürlich umso
authentischer macht und was ich deshalb auch nicht als Manko, sondern eher als
Pluspunkt werte.
Insgesamt empfand ich »Ein Sommer wie seither kein anderer«
als eine sehr anregende und lehrreiche Lektüre, die aufgrund der zwei genannten
Kritikpunkte 4 von 5 Herzen bekommt. Ich finde es großartig, dass die
Herausgeber rund 75 Jahre nach Kriegsende noch einmal die Gelegenheit ergriffen
haben, mit den letzten verbliebenen Zeitzeugen zu sprechen und kann mir nur ansatzweise
vorstellen, wie viel Mühe, Arbeit und Engagement in diesem Dokument steckt.
Deshalb bin ich sehr dankbar, dieses Buch von der Penguin Random House
Verlagsgruppe als Rezensionsexemplar erhalten zu haben und die ergreifenden
Erlebnisse aus dieser Zeit nachlesen zu dürfen.
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